Leber: Ein Pragmatiker im Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Leber: Ein Pragmatiker im Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Leber: Ein Pragmatiker im Widerstand gegen den Nationalsozialismus
 
Kindheit und Ausbildung
 
Julius Hieronymus Leber wurde am 16. November 1891 in Biesheim (Elsass) unehelich geboren. Sein Vater ist vermutlich der ebenfalls aus Biesheim stammende Kleinbauer Xaver Stentz. Die Mutter heiratete 1895 den Maurer und Kleinbauern Jean Baptiste Leber, der das Kind als sein eigenes anerkannte. Besonders geprägt hat ihn in seiner Kindheit sein Großvater mütterlicherseits. Dieser machte ihn vertraut mit der Arbeit und dem Leben kleiner Leute auf dem Lande, aber auch mit politischen Fragen. Aufgewachsen zu einer Zeit, als das Elsass französisch war, machte der Großvater keinen Hehl aus seiner profranzösischen Einstellung, sorgte damit bei seinem Enkel für ein Gegengewicht zu dessen deutsch geprägter schulischer Erziehung. Auf Fürsprache des Ortsgeistlichen durfte der begabte Junge eine höhere Schule im benachbarten Breisach besuchen. Nach sechs erfolgreichen Schuljahren — er war fast immer der Primus der Klasse — schloss er mit dem Einjährig-Freiwilligen-Examen ab. Leber begann danach eine kaufmännische Lehre in einer Breisacher Tapetenfabrik, was ihn aber nicht befriedigte, denn 1910 trat er in die Unterprima der Rotteck-Oberrealschule in Freiburg/Breisgau ein. Finanzielle Unterstützung bekam er von Zuhause nicht, eigene Arbeit und wohlwollende Unterstützung durch einen Freiburger Apotheker halfen ihm zum Abitur (1912). Es gibt Hinweise darauf, dass er bereits als Schüler der Sozialdemokratie nahe stand.
 
Sein StudiumNationalökonomie — begann Leber in Straßburg und setzte es in Freiburg fort. Am 1. August 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger, wurde 1915 Leutnant, mehrfach verwundet und ausgezeichnet. Nach Kriegsende blieb er im Heeresdienst im Grenzschutz im Osten. In Belgard in Hinterpommern erlebte er den Kapp-Putsch: Leber und die ihm unterstellten Soldaten stellten sich gemeinsam mit der Belgarder Arbeiterschaft gegen die Putschisten. Diese Zusammenarbeit trug vermutlich dazu bei, dass Leber sich zu einer Mitgliedschaft in der SPD entschloss: Sein erstes SPD-Parteibuch wurde in Belgard ausgestellt. Während die am Kapp-Putsch Beteiligten nur milde oder nicht bestraft wurden, wurde Leber wegen seines Verhaltens belangt. Er verließ enttäuscht den Heeresdienst, nahm sein Studium in Freiburg wieder auf und schloss es am 3. Dezember 1920 mit dem Dr. rer. pol. ab.
 
 Politisches Denken und Aufstieg
 
Im März 1921 wurde er von der zuständigen Presse-Kommission zum Redakteur der sozialdemokratischen Zeitung »Lübecker Volksbote« gewählt. In diesem Blatt trat er unerschrocken und unermüdlich für die Republik von Weimar ein, setzte seinen kämpferischen Einsatz aus den Kapp-Tagen publizistisch fort. Angriffe gegen die Republik von rechts beantwortete er kämpferisch, gelegentlich auch in der Sprache überaus deutlich. Nicht weniger hart ging er mit den eigenen Parteifreunden ins Gericht, deren Neigung zum Kompromiss er als Lauheit geißelte, gleichermaßen schädlich für SPD und Republik.
 
Leber fand Zustimmung in Lübeck. Bereits 1921 wurde er in die Lübecker Bürgerschaft, das Parlament der Freien und Hansestadt Lübeck, gewählt. 1924 wurde er Reichstagsabgeordneter. Erst mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verlor er beide Mandate.
 
In seinen ersten politischen Jahren war Leber eher dem linken Parteiflügel zuzuordnen: Er vertrat die Meinung, dass die SPD nur dann von ihrer Politik der »Kompromisselei« loskommen könne, wenn sie sich auf ihre marxistische Grundorientierung zurückbesinne. So begrüßte Leber die Wiedervereinigung mit der USPD (1922), weil er sich dadurch eine Stärkung des Marxismus in der SPD und somit eine aktivere Politik seiner Partei erhoffte. Erst durch die Erfahrungen als Reichstagsabgeordneter erkannte er und formulierte zunächst vorsichtig, dass die Bindung an die marxsche Lehre eher ein Hemmnis für die politische Arbeit der SPD unter den Bedingungen der Weimarer Republik geworden war.
 
Leber versuchte, neue Orientierungen für die sozialdemokratische Politik zu entwickeln. Ihm schwebte vor, die Idee der Nation mit der sozialistischen Idee zu verbinden. Dazu bedurfte es — so Leber — einer Rückbesinnung auf die freiheitlichen Traditionen der deutschen und europäischen Geschichte, insbesondere auf die bürgerlichen Freiheitsbewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts. Leber sah die Sozialdemokratie als den Erben und Fortführer dieser Ideen: Durch die Einbeziehung des Sozialen sollte die Idee einer »soziale(n) Republik«, einer »soziale(n) Demokratie« entwickelt und umgesetzt werden.
 
Leber vertrat die Notwendigkeit der Staatsbejahung durch seine aus historischen Gründen eher staatsskeptische Partei. Für ihn bildeten Staat und Macht, also auch staatliche Machtausübung z. B. durch Polizei und Armee, eine untrennbare Einheit. Wohl wissend, dass in der Sozialdemokratie mit ihrer stark pazifistisch und marxistisch geprägten Mitgliedschaft dies nur schwer durchzusetzen war, entschied sich Leber für das schwierige Unterfangen, zwischen Arbeiterschaft, Republik und Armee eine gemeinsame Basis herzustellen. Im Reichstag galt Leber als einer der Wehrexperten seiner Partei. Als Mitglied der sozialdemokratischen Wehrkommission hatte er maßgeblichen Anteil an der Erarbeitung von Richtlinien zur Wehrpolitik, die der Magdeburger Parteitag 1929 verabschiedete. Dass nur wenige seiner Parteifreunde ihm in seinen wehrpolitischen Ansichten folgen konnten, hat er auch als persönliche Niederlage empfunden.
 
Leber kritisierte die verkrustete Organisations- und Führungsstruktur der Weimarer Sozialdemokratie, bezeichnete die SPD als »Parteimaschine«, die das Hochkommen neuer, jüngerer, nicht angepasster Kräfte fast unmöglich machte. Hatte Leber in der Öffentlichkeit, insbesondere in den Spalten des »Lübecker Volksboten«, solche Kritik eher vorsichtig formuliert, so nutzte er seine Inhaftierung 1933 zur Abfassung einer Schrift, in der er unter dem Titel »Die Todesursachen der deutschen Sozialdemokratie« nicht nur ideologisch und programmatisch, sondern auch unter Nennung von Namen sozialdemokratischer Führungskräfte die Schwächen der Weimarer SPD anprangerte.
 
Leber war weniger Theoretiker denn politischer Pragmatiker mit sicherem Instinkt für politische Wirkung. Er wusste, dass Politik in einer Massengesellschaft nicht nur rational vermittelbar ist. So war er davon überzeugt, dass die moderne Demokratie charismatische Führungspersönlichkeiten braucht. Seine Kritik am Verhältniswahlsystem der Weimarer Republik hatte hier eine ihrer Wurzeln.
 
Er vertrat die Auffassung, dass Zeichen und Symbole, Dinge, die über die Emotion vermittelt werden, in der Politik notwendig ihren Platz haben müssen. Dass der aufkommende Nationalsozialismus mit ähnlichen Mitteln arbeitete, machte vielen seiner Parteifreunde in der Sozialdemokratie Lebers Ansichten suspekt. Zwar gab es eine Gruppe jüngerer Sozialdemokraten aus der Frontgeneration des Ersten Weltkrieges, die ähnlich dachte wie Leber. Zu diesen »militanten Sozialisten« werden neben Leber selbst Kurt Schumacher, Theodor Haubach und Carlo Mierendorff gezählt, jedoch gelang es diesen Männern während der Weimarer Jahre nicht, aus der Übereinstimmung ihrer Überzeugungen heraus zu gemeinsamem Handeln zu finden.
 
Die Rechtsparteien, insbesondere völkische Gruppen und später die Nationalsozialisten, waren stets der erklärte Gegner des Politikers Leber. So gehörte Leber 1923 zu den Teilnehmern einer Demonstration von Lübecker Sozialdemokraten, die in Bad Schwartau eine »völkische Fahnenweihe« verhindern wollten. Als sich die beiden Demonstrationszüge begegneten, kam es zu massiven Ausschreitungen, schließlich verschanzten sich die Völkischen in ihrem Tagungslokal und bewarfen die sie belagernden Sozialdemokraten mit Stühlen. Leber wollte weitere Auseinandersetzungen verhindern, verhandelte mit den völkischen Führern, verlangte die Herausgabe der Fahne, versprach dafür, die sozialdemokratischen Demonstranten zu zerstreuen. Die Fahne wurde ihm übergeben. Leber hatte gezeigt, dass er nicht nur in den Spalten seiner Zeitung zu kämpfen wusste, sondern auch in der harten Wirklichkeit. Überdies hatte er seiner Meinung, dass Fahnen Zeichenfunktion haben, mit dieser Aktion überzeugend Ausdruck gegeben. 1924 widersetzte sich Leber als Mitglied der Lübecker Bürgerschaft massiv völkischen Plänen, ein Schlageter-Denkmal in Lübeck zu errichten. Zwei Jahre später kritisierte er, dass sich Lübeck im Reichsrat gegen die Einbürgerung von Juden ausgesprochen hatte, was die politische Rechte nutzte, um ihn in diffamierender Absicht als Juden zu bezeichnen.
 
 Erste Verhaftung
 
In den Jahren 1930 bis 1933, insbesondere 1932, dem Jahr mit zwei Reichstagswahlen, hatte Leber, allerdings zunehmend resignierend, gegen die Nationalsozialisten bei Massenveranstaltungen als Redner und in seinen Zeitungsartikeln, gekämpft.
 
Schon lange vor dem Januar 1933 waren Leber gegenüber massive Drohungen aus dem Kreis der Völkischen und der Nationalsozialisten geäußert worden. »Zwei Stunden nach unserem Sieg hängt Dr. Leber auf dem Marktplatz« hatte es geheißen. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bot nun die Gelegenheit, mit Leber politisch abzurechnen.
 
In der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 1933 wurde Leber in Lübeck in eine Schlägerei mit Nationalsozialisten verwickelt. Einer seiner Begleiter tötete dabei einen der Nationalsozialisten. Leber wurde verhaftet, nach einigen Tagen auch auf Druck der Lübecker Arbeiterschaft hin wieder freigelassen. Am 23. März 1933 wurde er in Berlin vor dem Betreten der Kroll-Oper in »Schutzhaft« genommen: Die neuen Machthaber wollten verhindern, dass er an der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz teilnahm.
 
Da wegen der Lübecker Schlägerei Anklage gegen ihn erhoben worden war, wurde die Schutzhaft bald in Untersuchungshaft umgewandelt. Ein von dem neuen Zeitgeist nicht mehr unbeeinflusstes Gericht verurteilte ihn zu 20 Monaten Haft, die er in den Gefängnissen Lübeck-Lauerhof und Wolfenbüttel absaß. Immerhin war er dadurch der unmittelbaren Willkür der Nationalsozialisten entzogen, die ihn erst nach Ende seiner Strafhaft einholte: Bis Mai 1937 hielt man ihn ohne Rechtsgrundlage in den Konzentrationslagern Esterwegen und Sachsenhausen fest. Vermutlich ist es den ständigen Bemühungen seiner Frau zu verdanken, dass er nicht noch längere Zeit dort zubringen musste.
 
 Erneut im Widerstand
 
Nach Berlin entlassen, wo seine Frau Annedore mit den beiden Kindern Katharina und Matthias inzwischen eine Existenz gefunden hatte, kam Leber bald mit anderen Sozialdemokraten, so z. B. Gustav Dahrendorf, Ernst von Harnack und Ludwig Schwamb, auf freundschaftlicher Basis zum politischen Meinungsaustausch zusammen. Erst angesichts des drohenden Krieges 1938/39 wurden in erweitertem Kreise erste Überlegungen für einen Umsturz angestellt, die sich mit Kriegsbeginn und Kriegserfolgen jedoch zunächst zerschlugen.
 
Mit einer im Sommer 1939 erworbenen, von Gustav Dahrendorf vermittelten Teilhaberschaft an einer Kohlenhandlung in Berlin-Schöneberg konnte Leber nicht nur etwas zum Lebensunterhalt seiner Familie beitragen, sondern gewann auch Freiraum für Kontakte: Das Büro der Kohlenhandlung wurde zum Ort des politischen Meinungsaustauschs, schließlich zur »Verschwörerbude« (Theodor Heuss).
 
Im Herbst 1943 begann für Leber eine zweite, intensive Phase des Widerstandes. Sie führte ihn zusammen mit dem Kreis um den ehemaliger Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler, mit dem Kreisauer Kreis, dem militärischen Widerstand, insbesondere Stauffenberg, sowie mit Kommunisten.
 
Im Goerdeler-Kreis hatte sich Leber als ehemaliger Offizier eingeführt, was den Wertvorstellungen dieses noch stark vom kaiserlichen Deutschland geprägten Kreises entgegenkam. Die Neuordnungsvorstellungen der Männer um Goerdeler teilte er in nur wenigen Punkten. Während er von den innenpolitischen Überlegungen allenfalls der Kritik am Verhältniswahlsystem zustimmen konnte, hielt er die außenpolitischen Vorstellungen, die sich an einem Deutschland in den Grenzen von 1914 orientierten, angesichts der konkreten politischen Lage für illusorisch. Da Leber ab Januar 1944 in den Ministerlisten Goerdelers als Innenminister für die Zeit nach einem gelungenen Umsturz auftaucht, muss Leber wohl als Persönlichkeit überzeugt haben.
 
Auf den führenden Kopf des Kreisauer Kreises, Helmuth James von Moltke, wirkte Leber bei den ersten Begegnungen eher bäuerisch. Moltke störte es, dass Leber »die geistigen Kräfte sehr viel geringer« wertete als die anderen Mitglieder des Kreisauer Kreises. Allmählich setzte sich aber auch in diesem Kreis die Erkenntnis durch, dass man es bei Leber mit einem »überzeugend guten Mann« zu tun hatte.
 
Auch die Zielvorstellungen des Kreisauer Kreises blieben Leber weitgehend fremd. Zwar wurde der Idee des Sozialen dort deutlicher Rechnung getragen als in den Plänen der Konservativen um Goerdeler, aber Leber spürte, dass dies stärker von patriarchalischem Verantwortungsgefühl als der Idee der politischen, gesellschaftlichen und sozialen Gleichberechtigung der Arbeiterschaft getragen war.
 
Mit Leber kam ein politischer Pragmatiker in die Kreise des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Als solcher war er der Auffassung, dass weniger Pläne denn politische Führungspersönlichkeiten die Neuordnung nach gelungenem Umsturz prägen würden. Um zum Umsturz zu kommen, so hatte er seiner Frau anvertraut, sei er bereit, »auch mit dem Teufel« zu paktieren. So hatte sich Leber zunächst aus den programmatischen Auseinandersetzungen in und zwischen Gruppen und Personen bewusst herausgehalten.
 
Während des Wartens auf den Umsturz lernte Leber, wohl durch Vermittlung von Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, auch Stauffenberg kennen. Dieser äußerte ihm gegenüber Befürchtungen, dass der geplante Umsturz eine »Revolution der Greise« werden könne, und bestärkte Leber darin, stärker politische Verantwortung in der Umsturzregierung zu übernehmen. Stauffenberg hätte ihn sogar gerne anstelle von Goerdeler als Kanzler gesehen. Solchermaßen ermutigt, begann Leber, eigene politische Vorstellungen im Verschwörerkreis vorzustellen. Er entwickelte, dabei Überlegungen von Carlo Mierendorff aufgreifend, die Idee einer »umspannenden Volksbewegung aller überlebenden und lebensfähigen sozialen und demokratischen Kräfte«, auf die sich die durch den Nationalsozialismus irregeleiteten Menschen hin orientieren könnten. Seinen konservativen Mitverschwörern erschien das als »radikales sozialistisches Programm«, was Leber nicht bestritt, sondern deutlich machte, dass er nicht mehr bereit sei, allein wegen der gewünschten Einigkeit der Verschwörer »wichtige Grundsätze der alten Sozialdemokratie über Bord gehen zu lassen«. (Zitate aus den Kaltenbrunner-Berichten). Dass Leber überdies vorschlug, die Basis der Verschwörung um Kommunisten zu erweitern, hat ihm massive Vorwürfe seitens seiner konservativen Mitverschwörer eingetragen, er arbeite auf eine Linksorientierung des Widerstandes hin, um über Goerdeler hinweg an die Macht zu kommen. Auch bei den nicht konservativen Verschwörern wurde dieser Plan nicht gutgeheißen, hier aber wurden primär Sicherheitsgesichtspunkte ins Feld geführt.
 
Trotz dieser Vorbehalte nahm Leber zusammen mit Adolf Reichwein Verbindung zu Kommunisten auf. Das Sondierungsgespräch in der Wohnung eines Berliner Arztes, das überwiegend von Leber geführt wurde, zeigte trotz Verschiedenheit der Auffassungen die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Die Harmonie des Gespräches wurde dadurch getrübt, dass die Kommunisten Leber und Reichwein über den Termin des Attentats ausfragten und einer von ihnen, anders als vereinbart war, Leber mit Namen ansprach. Dennoch wurde ein weiteres Gespräch vereinbart, zu dem es jedoch nicht mehr kam: Einer der Kommunisten war ein Spitzel, Reichwein und Leber wurden Anfang Juli 1944 verhaftet.
 
 Anklage und Schauprozess
 
Mit deutlichen Spuren von Misshandlungen wurde Leber in das Zuchthaus Brandenburg gebracht, später, nach dem misslungenen Attentat des 20. Juli 1944, in der Sicherheitspolizeischule Drögen unter weiteren Misshandlungen zu Aussagen über die Vorbereitung des Attentats auf Hitler gezwungen. Erst Ende Juli 1944 konnte er seiner Frau ein erstes Lebenszeichen geben. Leber wusste wohl, dass es diesmal keine Rückkehr zu seiner Familie geben würde.
 
Zusammen mit drei weiteren sozialdemokratischen Angeklagten stand Leber am 20. Oktober 1944 vor dem Volksgerichtshof. Die Anklageschrift warf ihm Landesverrat, Feindbegünstigung, Hochverrat und Nichtanzeige eines hochverräterischen Unternehmens vor. Erst am Abend vor der Verhandlung hatten er und seine Mitangeklagten erstmals Einblick in diese seit Wochen vorliegende Anklageschrift nehmen können. Auch seinen Pflichtverteidiger lernte Leber erst am Vorabend des Prozesses kennen. Angeklagter wie Verteidiger wussten, dass der Prozess das Todesurteil bringen würde, also setzte Leber ein durch den Anwalt beglaubigtes Testament auf.
 
Der Prozess war wie alle Prozesse gegen Beteiligte am 20. Juli 1944 ein reiner Schauprozess vor ausgewähltem Publikum: SS-Leute, Offiziere, Kriegsbeschädigte, ausgewählte Pressevertreter.
 
Der berüchtigte Präsident des Volksgerichtshofes Roland Freisler führte die Verhandlung. Leber beeindruckte durch die Haltung ruhiger Gelassenheit gegenüber dem geifernden Freisler. Paul Sethe, einer der Pressevertreter, hat später, als ein freies Wort in Deutschland wieder möglich war, seinen Eindruck vom Prozess und von Julius Leber geschildert: »Unaufhörlich dröhnen die Fragen, die Anklagen und Beschimpfungen wie ein wilder Katarakt auf den Angeklagten. .. Noch mitten im Satz unterbricht ihn regelmäßig der Präsident, unerbittlich drängt er den Angeklagten auf den einen Punkt: da, wo er zugeben muss, sich verschworen zu haben, die Regierung stürzen zu wollen, an die Niederlage zu glauben. .. Das Verhör dauert vielleicht eine Stunde oder zwei. .. immer deutlicher senken sich die Schatten des Todes über Julius Leber herab, aber die Stimme da vorn bleibt ruhig, gleichmäßig und gelassen wie am Anfang. Kein Zittern in den Worten, keine Unsicherheit in der Aussage, kein zu schnelles und kein zu langsames Wort, keine Zeichen, dass Julius Leber den Mann da vorn fürchtet. .. Eine einzige Bewegung an dem starken Körper ist zu spüren: Immer wieder bewegt er sich auf den Fußspitzen auf und nieder - das einzige Zeichen, dass auch ihn dieses Verhör angreift.«
 
Nur einer der Angeklagten, Gustav Dahrendorf, kam mit einer Zuchthausstrafe davon. Leber sowie seine Mitangeklagten Adolf Reichwein und Hermann Maass wurden zum Tode verurteilt. Während die Urteile gegen die beiden anderen noch am selben Tage vollstreckt wurden, wurde Leber ins Gefängnis zurückgebracht. Das weckte Hoffnungen bei ihm und seiner Frau, dass der sich ankündigende militärische Zusammenbruch, der mit der Invasion 1944 in greifbare Nähe gerückt war, ihn vielleicht vor dem Tode retten würde.
 
Leber konnte seine Frau noch einige Male sehen, sie konnten Briefe wechseln. In diesen Briefen ist die enge Verbundenheit der Eheleute dokumentiert, deren Hoffnung auf Verschonung sich jedoch nicht erfüllte: Das gegen Leber verhängte Todesurteil wurde am 5. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee vollstreckt. Die Veröffentlichung einer Todesanzeige wurde untersagt. Eine Grabstelle für Leber gibt es nicht, doch erinnert die Namengebung von Straßen, Schulen, Kasernen an ihn.
 
Dorothea Beck
 
Lexikon des deutschen Widerstandes, hg. v. u. Walter
 
 
Dorothea Beck: Julius Leber. Sozialdemokrat zwischen Reform und Widerstand. Taschenbuchausgabe München 1994.

Universal-Lexikon. 2012.

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